Irresistible

Die Zeit, 11/8/17 (in German)

The use of smartphones while driving is responsible for thousands of deaths every year.

Jeder weiß, wie gefährlich es ist, aber die meisten tun es trotzdem. Piept das Smartphone, kann kaum jemand dem Reflex widerstehen, sofort nachzuschauen, was für eine Nachricht da angekommen ist, auch nicht am Steuer. Und das hat Folgen: Mindestens 300 Deutsche sterben jährlich, weil ein Autofahrer nicht die Finger (und vor allem die Augen) vom Handy lassen konnte. Das sind mehr als jene rund 250 Todesopfer, welche auf Alkohol am Steuer zurückzuführen sind. Das Smartphone, sagen Experten deshalb, ist in den zehn Jahren seiner Existenz zum Unfallrisiko Nummer eins geworden

Young Blood Against Dementia

Deutschlandfunk, 11/1/17 (in German)

If young mice are injected the blood of young mice, they get better at navigating a maze. Two researchers are testing if this discovery could help alleviate or even revert human dementia. The first results of their study look promising.

“Blut ist ein ganz besonderer Saft”, sagte Mephistopheles in Goethes “Faust” und ließ diesen den Teufelspakt mit Blut unterschreiben. Blut ist das Elixier des Lebens, dachte sich auch Anfang des 17. Jahrhunderts die ungarische Gräfin Elisabeth Báthory, die angeblich junge Frauen töten ließ, um in ihrem Blut zu baden. Sie erhoffte sich, davon wieder jünger zu werden. Wirklich teuflisch.

Ganz so brutal ist der Schweizer Forscher Tony Wyss-Coray, der im kalifornischen Stanford forscht, bei seinen Experimenten nicht vorgegangen. Aber ein bisschen makaber waren die auch: Der Mikrobiologe nähte Mäuse paarweise zusammen, immer eine junge und eine alte Maus, so dass sie einen gemeinsamen Blutkreislauf hatten. Parabiose nennt man das. Die Folge: Bei der alten Maus, die schon Zeichen von Demenz zeigte, bildeten sich neue Hirnzellen

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Where the Wildfires in Northern California Came From

Zeit Online, 10/13/17 (in German)

The recent wildfires in Northern California were the worst in history. Three factors led to the catastrophic effects.

So schöne Sonnenuntergänge wie in den vergangenen beiden Tagen hat San Francisco lange nicht erlebt. Glutrot hing die Sonne in den Abendstunden über der Stadt, eine fast unnatürlich erscheinende Färbung. Ursache für das Naturschauspiel sind die Aschepartikel in der Luft. Die kalifornische Metropole, sonst bekannt für die kühle Meeresbrise, die vom Pazifik weht, verzeichnet seit Tagen eine Luftqualität wie Peking. Die Schulkinder dürfen in der Pause nicht draußen spielen, es sind weniger Radfahrer auf den Straßen zu sehen, Gesichtsmasken sind ausverkauft

“Me” Is Someone Else

Die Zeit, 9/27/17 (in German)

The author had his personality analyzed four times, by different online psychological tests. The results vary radically. How can that be?

“Sie wissen alles über uns!” An solche Sprüche haben wir uns gewöhnt. Und wir bemerken die Anzeichen: Wenn die Werbung für ein Produkt uns durch das Internet verfolgt, selbst wenn wir die Ware schon gekauft haben. Wenn auf Googles Stadtplan Restaurants hervorgehoben werden, in denen wir vor Monaten gegessen haben und von denen wir Google nichts erzählt haben. Wenn Amazon uns sagt, was wir kaufen oder lesen sollten, weil es glaubt, unseren Geschmack zu kennen.

Das Geschäftsmodell der Online-Händler bedient sich äußerlicher Aspekte einer Person – was ich kaufe, welche Orte ich besuche. Ich nehme es achselzuckend hin, auf Schritt und Tritt von den digitalen Diensten verfolgt zu werden. In mich hineingucken aber können die ungebetenen Helfer zum Glück nicht. Die Gedanken sind frei. Meine Gefühle und Stimmungen gehören immer noch mir selbst, bleiben vor anderen verborgen. Oder doch nicht?

Unser Denken ist längst sichtbar. Es ist durchaus möglich, aus den digitalen Spuren, die wir hinterlassen, Rückschlüsse auf unser Wesen zu ziehen. Dabei geht es nicht um peinliche Partyfotos, die wir leichtsinnig auf Facebook gepostet haben, oder um einen Kommentar, mit dem wir jemandem einmal richtig die Meinung sagen wollten.

Selbst wer sich bemüht, im Netz nichts über sich zu verraten, gibt jede Menge Informationen preis. Die daraus abgeleiteten Psycho-Analysen können nicht nur dazu benutzt werden, uns noch passendere Werbung zu präsentieren. Sie beeinflussen auch unsere Chancen, einen Kredit zu bekommen oder zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Sie sollen dabei helfen, radikale Wichtigtuer von Terroristen zu unterscheiden. Und sie vermögen sogar, behaupten ihre Macher, potenzielle Selbstmörder online zu identifizieren und ihnen Hilfe anzubieten

Magic Sauce

Deutschlandfunk Radio, 9/3/17

Did political ads that were tailored to the personality of individual voters decide the US presidential election? Probably not. But even if a lot is exaggerated – those methods exist.

Algorithmen protokollieren, wie wir uns im Netz bewegen und ziehen daraus ihre Schlüsse. Der Stanford-Forscher Michal Kosinski ist der prominenteste Vertreter der digitalen Psychometrie, mit deren Methoden wir ständig analysiert werden – auch wenn wir nichts davon merken. 

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The Clock Is Ticking

Spiegel Online, 8/8/17 (in German)

The “Doomsday Clock” that nuclear scientists use to show how close the world is to a nuclear moved closer to midnight after Trump took office. But how would he actually launch the deadly weapons? A video explains the chain of events.

Die Apokalypse war lange nicht mehr so nah wie jetzt – so zumindest sehen es US-Atomforscher. Seit 70 Jahren analysiert eine Gruppe von Wissenschaftlern die globale Sicherheitslage und gibt regelmäßig Einschätzungen heraus, wie groß die Gefahren für die Menschheit sind. Ihr Urteil wird symbolhaft auf einer Weltuntergangsuhr gezeigt – der sogenannten Doomsday Clock.

Mit der Wahl von US-Präsident Donald Trump zum mächtigsten Mann der Welt stellten die Forscher die Uhr um weitere 30 Sekunden vor: Der Zeiger befindet sich damit zweieinhalb Minuten vor zwölf. Das letzte Mal befand sich die Welt aus Sicht der Wissenschaftler im Jahr 1953 derart nah am Abgrund – damals hatten die USA und die Sowjetunion gerade ihre Wasserstoffbombe getestet

Hippie, hippie, yeah!

Die Zeit, 8/2/17 (in German)

A trip through California, 50 years after the “Summer of Love”.

Hier wohnten die Grateful Dead! Gegenüber die Hells Angels! Und um die Ecke Janis Joplin und der spätere Mörder Charles Manson! Während Stan Flouride, ein Punk Mitte 60 mit blondiertem Schopf und Bauchansatz, uns durch Haight-Ashbury führt, kommt er aus dem Aufzählen von Sechziger-Jahre-Legenden gar nicht mehr heraus. Der Stadtteil von San Francisco, benannt nach der Kreuzung von Haight Street und Ashbury Street, gilt als Geburtsort der Hippie-Bewegung: Er war damals ein Szeneviertel, in dem viele junge Leute und Künstler lebten.

Heute kann man hier Stans “Flower Power Walking Tour” buchen, der ich mich angeschlossen habe. Egal, ob man wie ich in San Francisco lebt oder die Stadt als Tourist besucht: Momentan kommt man um die Hippies nicht herum. Vor 50 Jahren strömten Jugendliche aus dem ganzen Land in die Stadt, um Drogen auszuprobieren, kostenlose Konzerte im Golden Gate Park zu besuchen und die freie Liebe zu leben. Und San Francisco lässt es sich nicht nehmen, das Jubiläum des “Summer of Love” ausgiebig zu feiern. Ausstellungen und Konzerte erinnern an ihn, überall hängen Plakate mit Schrifttypen, die aus einem LSD-Trip stammen könnten. Ich hatte mich gefragt, ob das mehr ist als Nostalgie: Ob es die Hippies von einst noch gibt? Und gibt es vielleicht neue?

The Futurological Process

NZZ Folio, August 2017 (in German)

The Internet Archive in San Francisco keeps internet pages from getting lost. It is a digital Library of Alexandria.

Das Internet vergisst nichts – der Satz könnte falscher nicht sein. Gut, manchem mag ein Bild aus vergangenen Tagen peinlich sein, das plötzlich wieder zum Vorschein kommt. Aber viel häufiger ist der Fall, dass man eine Seite aufrufen will und die berüchtigte Meldung erhält: «404 – File not found». Eine Website lebt im Durchschnitt 100 Tage, bevor sie verschwindet oder verändert wird. Das Internet ist sehr vergesslich.

Brewster Kahle kämpft dagegen, seit 1996. In jenem Jahr gründete er das Internet Archive, ein Archiv des weltweiten Netzes, das die Nutzer vor allem durch die Wayback Machine kennen: Stossen sie beim Stöbern im Netz auf die 404-Seite, dann können sie die Adresse in diese Suchmaschine der besonderen Art eingeben und vergangene Versionen der Seite abrufen, häufig mehrere. Nicht das ganze Netz, aber die unvorstellbare Zahl von einer Milliarde Websites besucht der Kriech-Algorithmus des Archivs in regelmässigen Abständen und speichert ihren Inhalt

Why Are Most Studies False, Mr. Ioannidis?

Die Zeit, 7/13/17 (in German)

Medical statistician John Ioannidis is the most vocal critic of half-baked research. He keeps telling his colleagues how often research articles are sloppy or fraudulent.

“David, ich bin ein Versager.” Mit diesen Worten beginnt ein offener Brief, den John Ioannidis an David Sackett geschrieben hat, einen der Väter der evidenzbasierten Medizin. Nun ist Sackett schon seit zwei Jahren tot, aber geschickt hatte Ioannidis ihn ja auch ans Journal of Clinical Epidemiology. Dort erschien er im vergangenen März – eine einzige Selbstgeißelung: Der Anspruch der wissenschaftlichen Medizin, ihre Erkenntnisse auf empirische, methodisch saubere Studien zu gründen, sei in den letzten zehn Jahren nicht eingelöst worden. Die Industrie habe die Wissenschaft in Geiselhaft genommen, medizinische Studien würden vor allem zu Werbezwecken eingesetzt. “Ich frage mich oft: Was für Monster haben wir da erschaffen?”, schrieb Ioannidis in der Pose des Zweifelnden, ja Verzweifelten. “Wir bejubeln Leute, die gelernt haben, Geld aufzusaugen, ihre Arbeit mit der besten PR aufzublasen, immer bombastischer und weniger selbstkritisch zu werden. Das sind die wissenschaftlichen Helden des 21. Jahrhunderts.” Die Parallelen zur Politik sind unübersehbar. Was aber hat es mit dem drastischen Lamento auf sich? Und wer ist der Mann, der öffentlichkeitswirksam einem Toten schreibt?