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Die Zeit

Auf einer Konferenz in Boston wirbt die deutsche Wissenschaft um wechselwillige US-Forscher. Mit Erfolg? Unser Autor Christoph Drösser ist als Beobachter dabei.

Die Vorfreude auf das neue Semester dürfte sich bei den amerikanischen Studierenden und Professoren in diesem Herbst in Grenzen halten. Denn schon jetzt ist klar: Die politischen Spannungen an den US-Unis halten unvermindert an. Am Mittwoch der vergangenen Woche entschied eine Bundesrichterin zwar, im Falle Harvards sei die Streichung der Fördermittel in Höhe von 2,2 Milliarden Dollar rechtswidrig gewesen, doch die Trump-Regierung geht in Berufung. Die Unsicherheit bleibt – sorgenfreies Campusleben und unbelastete Forschung sehen anders aus.

Im März sagten in einer Nature-Umfrage 75 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA, sie könnten sich vorstellen, das Land zu verlassen. Dazu, wie viele davon die Idee auch in die Tat umgesetzt haben, gibt es noch keine abschließenden Zahlen. Der von manchen erwartete große Exodus scheint bislang auszubleiben, hört man von den deutschen Forschungseinrichtungen. Aber kommt er vielleicht noch? Schauen sich Forscherinnen und Forscher nach besseren Bedingungen in Deutschland um?

Diese Fragen schweben über der GAIN-Konferenz, zu der sich am letzten Augustwochenende in Boston über 600 Teilnehmende einfinden. Zwei Etagen im edlen Marriott-Hotel haben der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) angemietet. Dieses jährliche Treffen hat traditionell das Ziel, in den USA forschende Deutsche, vor allem jüngere Postdocs, zu einer Rückkehr in die Heimat zu motivieren. In diesem Jahr öffnen die Veranstalter das Programm ausdrücklich auch für nicht Deutsch sprechende Forscher, ein großer Teil des Programms findet auf Englisch statt.

Interesse zeigen vor allem junge, mobile Forscher. Besonders diejenigen sind wechselwillig, die selbst aus dem Ausland in die USA gekommen sind, etwa aus Indien. Aniruddha Chattaraj forscht als Biophysik-Postdoc an der im Kreuzfeuer stehenden Universität Harvard und erzählt in Boston: „Mein Visum gilt noch ein Jahr. Aktuell hat Harvard noch eine Überbrückungsfinanzierung für diese Zeit. Aber niemand weiß, was danach passiert.“ Die Unsicherheit der staatlichen Finanzierung an den Eliteunis erschwert insbesondere ausländischen Wissenschaftlern eine zuverlässige Karriereplanung.

Christian Strowa, der Leiter der New Yorker DAAD-Außenstelle, bestätigt die Beobachtung. „Das sind die Leute, die jetzt vermehrt bei uns aufschlagen“, sagt er. Die Förderprogramme des Austauschdienstes zielen aber auch darauf, junge Forscherinnen und Forscher aus aller Welt in Zukunft direkt nach Deutschland zu locken, ohne den Umweg über die USA. Und das könnte jetzt, wo das zuvor wichtigste Forschungsland an Attraktivität verliert, gelingen.

Die jungen Besucher der Konferenz sind aber erst einmal verwirrt von der Vielfalt der deutschen Forschungslandschaft: Neben den Universitäten gibt es eine große Zahl von außeruniversitären Instituten in der Leibniz- und der Helmholtz-Gemeinschaft, bei Fraunhofer und Max Planck. Workshops sollen für Orientierung sorgen. „Gerade habe ich eine Veranstaltung der Hochschulen für angewandte Wissenschaften besucht“, erzählt Velaphi Thipe, ein aus Südafrika stammender junger Krebsmediziner an der University of Missouri, bei einem Kaffee. „Ich hatte auch schon ein Gespräch mit Vertretern von Max Planck und von drei anderen Institutionen.“

Mangelnde Risikofreude hemmt Innovation

Diese Vielfalt sei eine Stärke, sagt die DFG-Präsidentin Katja Becker im Gespräch mit der ZEIT. Gewichtiger in diesen Zeiten ist aber ein anderes Pfund: „Ganz vorne steht die grundgesetzlich verankerte Wissenschaftsfreiheit, die in Deutschland von der Politik verteidigt wird.“

Was das Wissenschaftssystem der Bundesrepublik für viele internationale Bewerberinnen und Bewerber ebenfalls attraktiv macht: Die Förderprogramme der großen Stiftungen sind weder auf bestimmte Nationalitäten noch auf bestimmte Fächer beschränkt, es zählt allein die wissenschaftliche Qualifikation. „In den USA kann man häufig keine Projektanträge schreiben, wenn man kein US-Bürger ist“, sagt der Biophysiker Chattaraj.

Über die Tücken des deutschen Systems täuscht das allerdings nicht hinweg. „Was ich aus all diesen Gesprächen mitnehme, ist, dass in Deutschland immer noch mangelnde Risikofreudigkeit herrscht“, erzählt Krystian Ganko, ein Chemie-Doktorand vom MIT mit amerikanischem und polnischem Pass. „Das hemmt die Innovation.“ Er glaubt aber, dass seine Gesprächspartner veränderungswillig sind. Er will sich im nächsten Jahr auf eine Postdoc-Stelle in Deutschland bewerben.

Das könnte eine gute Entscheidung sein. Unglücklich sind jene Wissenschaftler, die bereits den Sprung nach Deutschland gewagt haben, jedenfalls nicht. Einmal im Jahr befragt sie das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, wie zufrieden sie mit ihrem Job sind, und veröffentlicht den Bericht Wissenschaft weltoffen. Vor allem die internationalen Forscher geben dem deutschen Wissenschaftssystem gute Noten. 85 Prozent bewerten die Wissenschaftsfreiheit als positiv, über 70 Prozent die gesellschaftliche Relevanz der Forschung und die Innovationsfähigkeit des Systems.

Bundesforschungsministerin Dorothee Bär ist nicht nach Boston gereist, sie hat nur einen Staatssekretär geschickt und begrüßt die Anwesenden auf Englisch per Videobotschaft. In der bewirbt sie die Global Minds Initiative Germany, das Programm „1.000 Köpfe Plus“, das herausragenden Wissenschaftlern aus der ganzen Welt eine Perspektive in Deutschland bieten will. Die Regierung stellt dafür in diesem Jahr 27 Millionen Euro, ab 2026 jährlich 50 Millionen Euro zur Verfügung. Das Geld stockt das Fördervolumen von DAAD, AvH und DFG auf. „ Das ist erst einmal toll“, sagt DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee, „dass die Politik auf den Ratschlag der Wissenschaft eingegangen ist.“

Allerdings darf man sich keine Illusionen über die Wirksamkeit dieser Aktion machen. Teilt man die Summe der ersten zwei Jahre durch 1.000 Köpfe, geht die Rechnung nicht auf. Zum Vergleich: Die Alexander von Humboldt-Professur, mit der weltweit führende Forscher nach Deutschland geholt werden sollen, ist mit bis zu einer Million Euro pro Jahr dotiert. Hinzu kommt, dass viele Bundesländer an der Grundfinanzierung der Hochschulen sparen. Günter Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin, erzählt beim gemeinsamen Mittagessen: „Das sind alles nur kurzfristige Lösungen, damit können wir Leute ein paar Jahre überwintern lassen.“ Feste Stellen könne die FU nicht bieten. „Ich habe Kontakt zu einem sehr bekannten amerikanischen Philosophen, der fragt: Wo in Deutschland gibt es eine Professur für mich?“ Eine Antwort hat Ziegler nicht.

Wie sicher ist die Wissenschaft in Deutschland?

Das geflügelte Wort in Boston lautet brain circulation – ein paar Jahre in Deutschland forschen und dann weiterziehen. Das klingt international. Der Begriff ist aber auch Ausdruck der Tatsache, dass Deutschland frustrierten US-Forschern keine langfristige Perspektive bieten kann.

Dazu kommt: Auch in Deutschland gibt es wissenschaftsfeindliche Tendenzen. Die grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit ist zwar ein starkes Bollwerk gegen politische Übergriffe. Aber auch hier kontrollieren Bundes- und Landesregierungen den Geldhahn. Das ist Otmar Wiestler, dem Präsidenten der zu 90 Prozent vom Bund finanzierten Helmholtz-Gemeinschaft, bewusst: „Es ist völlig legitim, dass das Forschungsministerium von uns eine enge Abstimmung erwartet, auf welche übergreifenden Ziele wir setzen.“ Diese Ziele würden aber im Siebenjahresrhythmus mit der Regierung abgesprochen. Eine gewisse Abhängigkeit lässt sich daher nicht leugnen.

Kann man Deutschland vor diesem Hintergrund als Safe Space für die Wissenschaft bezeichnen? „Fragen wir mal nach der nächsten Bundestagswahl, wie safe der space in Deutschland wirklich ist“, antwortet Robert Schlögl, Präsident der Humboldt-Stiftung, trocken. Die Bundestagsabgeordnete Ayşe Asar, die für die Grünen im Forschungsausschuss sitzt, weist auf die Wahlen in den östlichen Bundesländern im nächsten Jahr hin – eine AfD-geführte Landesregierung könnte etwa die Wissenschaftsministerkonferenz blockieren.

Die Vertreter der Wissenschaftsinstitutionen sind sich zudem einig, dass die viel zitierte „Willkommenskultur“ in Deutschland verbesserungswürdig ist: komplizierte Bürokratie, nicht überall wird Englisch gesprochen. Hier können amerikanische Unis nach wie vor punkten.

Eine Wissenschaftlerin aus einem islamischen Land hingegen, die lieber anonym bleiben möchte und an der University of Connecticut zu französischer Literatur und Menschenrechten forscht, ist zumindest begeistert, wie freundlich sie hier auf der Messe willkommen geheißen wird. „Deutschland ist doch ein tolles Land, was die Menschenrechte angeht, oder?“, fragt sie.

Deutschland ist attraktiver geworden für internationale Forscherinnen und Forscher, das zeigt die Konferenz in Boston ganz deutlich. Es bleibt der Verdacht, dass das vor allem am Schwächeln des bisherigen Traumlandes USA liegt.