Die Zeit
Erst lachen, dann nachdenken – dafür hat Marc Abrahams den „Ig-Nobelpreis“ erfunden, einen Anti-Nobelpreis für schräge Forschung. Jetzt hat er eine Show daraus gemacht, mit der er nach Berlin kommt.
DIE ZEIT: Sie vergeben Preise für ziemlich schräge wissenschaftliche Entdeckungen, zum Beispiel für die, dass alle Säugetiere exakt 21 Sekunden zum Pinkelnbrauchen oder wie man ein hartes Ei mit Chemie wieder weich bekommt. Wie sind Sie auf die Idee zu diesen Ig-Nobelpreisen gekommen?
ZEIT: Und die Preisträger, kamen die auch?
Abrahams: Die haben wir gar nicht gefragt. Wir dachten einfach nicht, dass sie kommen würden.
ZEIT: Weil es ihnen peinlich gewesen wäre?
Abrahams: Es ist auch ein ziemlicher Aufwand, und wir zahlen keine Reisekosten. Nach ein paar Jahren haben wir dann angefangen, die Preisträger zu fragen, ob sie den Preis haben wollen oder nicht. Wenn sie Nein sagen, dann bekommen sie den Preis nicht, außer es handelt sich um extrem bekannte Personen oder Organisationen. So haben wir vor ein paar Jahren den Chemiepreis an Volkswagen verliehen, obwohl ihn dort niemand haben wollte. Unsere Begründung: Die Firma hat durch ihre Manipulationen das Problem der hohen Schadstoffwerte gelöst. Ähnlich war es mit dem Friedenspreis für die irische Polizei. Die hatte eine ungewöhnlich hohe Zahl von Strafmandaten an einen gewissen Prawo Jazdy ausgestellt. Das ist das polnische Wort für Führerschein.
ZEIT: Aber die meisten Forscher holen sich inzwischen ihren wenig ehrenhaften Preis ab?
Abrahams: Ja. Viele nominieren sich sogar selbst. Selbst Forschungsinstitutionen schlagen ihre eigenen Leute vor. Einige davon haben sogar versucht, uns zu bestechen.
ZEIT: Was macht einen idealen Ig-Nobelpreis-Kandidaten aus?
Abrahams: Es ist ziemlich einfach: Was auch immer er erforscht hat, fast jeder lacht spontan darüber. Und dann bleibt es im Kopf hängen, man denkt noch nach einer Woche darüber nach und möchte all seinen Freunden davon erzählen.
ZEIT: Viele Menschen glauben, dass Sie sich über die Wissenschaft lustig machen.
Abrahams: Ja, aber das stimmt nicht. Wir wollen die Leute neugierig machen auf Dinge, denen sie sonst vielleicht aus dem Weg gehen würden, die sie für zu kompliziert halten oder für zu unappetitlich. Wenn wir diese Dinge klar und einfach beschreiben, dann interessiert sich plötzlich jeder dafür.
ZEIT: Befürchten Sie nicht manchmal, dass Sie Klischees fortschreiben? Etwa, dass Wissenschaftler weltfremde Zeitgenossen seien, die sich mit Problemen beschäftigen, die kein normaler Mensch hat?
Abrahams: Überhaupt nicht. Viele der Fragen, mit denen Ig-Nobelpreise gewonnen wurden, sind so alltäglich, dass jeder schon mal darüber nachgedacht hat. Warum zerknittern Bettlaken? Warum klebt der Duschvorhang am Körper? Vielleicht haben Sie auch schon mal bemerkt, dass trockene Spaghetti fast immer in mehr als zwei Teile zerbrechen, wenn Sie sie halbieren wollen. Warum ist das so? Ein paar Franzosen haben das schließlich herausgefunden, und vor einem Jahr haben zwei andere Forscher in Massachusetts entdeckt, wie man Spaghetti doch in zwei Teile teilen kann. Man muss das Bündel vor dem Brechen ein wenig verdrehen.
ZEIT: Im Jahr 2000 haben Sie den sogenannten Dunning-Kruger-Effekt mit einem Ig-Nobelpreis gewürdigt. Der besagt, dass inkompetente Menschen nicht merken, wie inkompetent sie sind. Inzwischen ist das eine weithin akzeptierte wissenschaftliche Erkenntnis.
Abrahams: Die meisten Menschen wissen das ja aus eigener Erfahrung, aber David Dunning und Justin Kruger haben es experimentell nachgewiesen. Ein paar Monate nachdem wir den Preis verliehen haben, wurde interessanterweise George W. Bush Präsident der Vereinigten Staaten. Und seit Donald Trump gewählt wurde, ist der Dunning-Kruger-Effekt hier in den USA ständig in den Nachrichten.
ZEIT: Ist es schon einmal vorgekommen, dass ein Ig-Nobelpreisträger später einen echten Nobelpreis gewonnen hat?
Abrahams: Ein Mal. Wir haben im Jahr 2000 den Physiker Andre Geim ausgezeichnet. Zusammen mit seinem Kollegen Michael Berry hatte er einen lebendigen Frosch mithilfe von Magneten zum Schweben gebracht. Das ist ein altbekannter physikalischer Effekt, der ein wenig in Vergessenheit geraten war. Zehn Jahre später bekam Geim den Physik-Nobelpreis für eine ganz andere Sache.
ZEIT: Wofür denn?
Abrahams: Für Experimente an extrem dünnen Schichten von Graphen, nur ein Atom dick. Im Prinzip kennt das jedes Kind – man kritzelt mit einem Bleistift auf ein Blatt Papier, nimmt ein Stück Klebefilm und löst eine schwarze Schicht ab. Geim und sein Kollege Konstantin Novoselov haben herausgefunden, dass superdünne Graphenschichten ganz spezielle Eigenschaften haben. Chemiker hatten schon lange postuliert, dass es eine zweidimensionale Form von Kohlenstoff geben müsse, aber es hatte sie noch niemand herstellen können.
ZEIT: Am 12. April treten Sie im Berliner Tempodrom auf. Was kann das Publikum von Ihrer Show erwarten?
Abrahams: Ich werde von den Ig-Nobelpreisen erzählen und einige der ausgezeichneten Arbeiten vorstellen, vor allem die vom vergangenen Jahr. Ich zeige auch eine Menge Bilder. Als ich mit den Vorträgen anfing, vor fast 30 Jahren, habe ich sie noch ohne Bilder gehalten, und nachher kamen Leute zu mir und sagten, meine Witze seien sehr lustig gewesen. Und ich musste ihnen erklären, dass ich keine Witze erzähle. Wenn ich den Leuten die Bilder zeige, dann glauben sie eher, dass das tatsächlich stimmt.
ZEIT: Fällt das, was Sie tun, unter die Rubrik Wissenschafts-Comedy?
Abrahams: Das weiß ich nicht. Comedy ist ein weiter Begriff. Ich erzähle keine Witze. Die Show ist lustig, aber sie ist lustig, weil die Wissenschaft selbst lustig ist.
ZEIT: Sie müssen also nichts hinzufügen?
Abrahams: Nein, ich muss im Gegenteil Details wegnehmen, die eher verwirren. Ich muss die Experimente und Ergebnisse der Forscher auf eine sehr klare Beschreibung reduzieren, und das ist eine Menge Arbeit.
ZEIT: Sie bestreiten die Show aber nicht alleine.
Abrahams: In Berlin habe ich einen Gast, meinen alten Kollegen Mark Benecke. Er gehört wie ich zu den Herausgebern des satirischen Wissenschaftsmagazins Annals of Improbable Research. Ich habe ihn gebeten, ein paar Ig-Nobelpreise aufzugreifen, die in sein Metier fallen, die Forensik. Er hat eine sehr spezielle, trockene Art, die oft grausigen Details seiner Disziplin zu beschreiben. Zum Beispiel haben wir 2009 den Friedenspreis an ein Team von Schweizer Forschern vergeben, das die Frage untersucht hat, was gefährlicher ist: wenn man jemandem eine volle Bierflasche über den Kopf haut oder eine leere. Das ist gar nicht so leicht zu beantworten.
ZEIT: Ich würde sagen: die volle, weil sie einen größeren Impuls hat.
Abrahams: Nach einer Reihe von Versuchen kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass beide Versionen extrem gefährlich sind. Man sollte niemandem eine Flasche über den Kopf schlagen. Aber es ist tatsächlich ein bisschen weniger gefährlich mit der vollen Flasche. Der Grund dafür ist, dass sie einen gewissen Innendruck hat und deshalb leichter zerbricht.
ZEIT: In den USA hat die Wissenschaft heute einen schweren Stand. Die Regierung dort ist geradezu antiwissenschaftlich eingestellt. Auch in Deutschland gibt es solche Tendenzen. Spielen Sie diesen Leuten nicht in die Hand, wenn Sie Ihre Späße mit der Wissenschaft treiben?
Abrahams: Im Gegenteil. Wir wollen, dass die Leute nachdenken. Das ist das Ziel der Ig-Nobelpreise, die Menschen sollen zuerst lachen und dann überlegen, warum sie lachen. Die Politiker, die bei uns in den Vereinigten Staaten an der Macht sind, wollen, dass die Leute Propaganda glauben. Wir wollen, dass die Menschen hinterfragen, was die Mächtigen sagen.
Marc Abrahams hat das satirische Magazin „Annals of Improbable Research“ (Annalen unwahrscheinlicher Forschung) gegründet und den Ig-Nobelpreis erfunden. Der Name der Ehrung spielt an auf „ignoble“, also „unehrenhaft“. Jedes Jahr im September, ein paar Wochen vor der Bekanntgabe der Nobelpreise, werden an der Harvard-Universität in Cambridge (USA) in einer schrillen Zeremonie echte wissenschaftliche Erkenntnisse prämiert, die auf den ersten Blick verrückt aussehen.