„Wenn wir so weitermachen, werden wir unsere Demokratie verlieren“

Riffreporter

Die Wahlkampfstrategin Rachel Bitecofer empfiehlt den Demokraten, bei der US-Präsidentschaftswahl mit härteren Bandagen zu kämpfen.

(Meine Rezension von Bitecofers Buch beim Deutschlandfunk)

Rachel Bitecofer ist Politologin, Meinungsforscherin und Wahlkampfberaterin der Demokratischen Partei in den USA. Gerade hat sie ein Buch herausgebracht mit dem Titel Hit ‘Em Where It Hurts, zu deutsch „Trefft sie da, wo es weh tut”. Darin empfiehlt sie ihrer Partei, im Präsidentschaftswahlkampf die Samthandschuhe abzulegen und die Republikaner mit den gleichen Methoden zu bekämpfen, die von denen eingesetzt werden – und die teilweise ein wenig schmutzig sind. Weltreporter Christoph Drösser hat das Buch gelesen und mit der Autorin gesprochen.

Am Anfang Ihres Buchs schreiben Sie: „In diesem Buch geht es um das schmutzigste Wort in Amerika, nämlich um, politics’.“ Im Englischen gibt es zwei Wörter für das, was wir „Politik” nennen, nämlich politics und policy. Ich habe im Russischen, im Spanischen und im Italienischen nachgeschlagen – überall gibt es nur ein Wort. Erklären Sie also unseren deutschen LeserInnen: Was genau ist politics?

In den USA geht es bei politics um all das, was das Funktionieren unserer Institutionen betrifft. Wenn man policy machen will, muss man politics betreiben.

Und was ist das Schmutzige daran?

Amerika ist wirklich der wilde Westen, wir haben sehr wenige Regeln dafür, was man im Wahlkampf sagen darf, was man tun darf, wie viel Geld man ausgeben darf. Insbesondere seit die USA die Beschränkungen für Spenden reicher Leute aufgehoben haben, herrscht im Grunde ein ständiger Wahlkampf, und es hat zum Aufstieg des Extremismus geführt, insbesondere in der Republikanischen Partei.

An einer Stelle in Ihrem Buch sagen Sie, dass es im Moment keinen Unterschied zwischen Wahlkampf und Regieren gibt. Es wird nicht wirklich policy gemacht.

Die Gründer unserer Demokratie waren sehr darum besorgt, dass die Entscheidungsfindung nicht zu einfach wird. Aber wenn man eine unehrliche Oppositionspartei hat, die sich einer Obstruktionsstrategie verschrieben hat und die sich auf eine schlecht informierte Wählerschaft stützt, sind wir leider politisch gelähmt. Biden hat noch am meisten erreicht, mehr als Obama – die Gesetze zur Infrastruktur, für Veteranen, zur Chipproduktion, solche Dinge. Aber bei unseren am heißesten diskutierten Problemen – Abtreibung, Einwanderung, Staatsverschuldung, Steuern und natürlich Waffen – gibt es keinen Fortschritt, weil die republikanische Partei beschlossen hat, dass es keinen Fortschritt geben wird.

In Ihrem Buch schreiben Sie nicht über die policies, sondern darüber, wie man Wahlen gewinnen kann. Und Sie empfehlen etwas, das Sie „negative Parteilichkeit“ nennen, negative partisanship. Können Sie kurz erklären, was das ist und was es für die Demokratische Partei bedeutet?

Ich bin Demokratin und habe Ansichten über Dinge wie Gleichberechtigung und Diversität und Frauenrechte und Gewerkschaften und so weiter. Aber in dieser Identität habe ich auch eine negative Parteilichkeit gegenüber dem einzigen Gegner, den man in diesem System hat, der Oppositionspartei. Ich habe negative Gefühle bezogen auf das, was ich an der anderen Partei fürchte. Die Republikaner haben dies lange Zeit genutzt, um Wahlen in Amerika zu gewinnen. Sie haben gesehen, dass es viel einfacher ist, in den Swing States zu gewinnen, wenn man den Leuten sagt: Die Demokraten sind Sozialisten, die eure Jungs in Mädchen verwandeln und euch eure Waffen wegnehmen wollen. Man sieht in der republikanischen Wahlwerbung sehr wenig positive Parteilichkeit für die eigenen Inhalte.

Jetzt schlagen Sie das Gleiche für die Demokratische Partei vor, nämlich die andere Seite zu verunglimpfen.

Ja, genau. Denn wenn wir das nicht tun, werden wir hier keine weiteren Präsidentschaftswahlen haben. Ich habe an der Hochschule ein Projekt namens Project 1933, in dem ich den Amerikanern vor Augen führe, dass in Deutschland ein sehr schwacher Kanzler mit einem Kabinett ins Amt kam, dem nur zwei Nazis angehörten. Und 29 Tage später herrschte in Deutschland Kriegsrecht, die Opposition wurde zusammengetrieben und in Gefängnisse gesteckt. Ich habe also überhaupt keine moralischen Bedenken bei dem, was ich vorschlage. Wir können uns wünschen, dass die Menschen vernünftig und rational sind und auf unsere Argumente eingehen. Aber das funktioniert offensichtlich nicht, und wenn wir so weitermachen, werden wir unsere Demokratie verlieren.

Sie vergleichen die Propaganda der Republikaner mit dem Dritten Reich. Aber diese Mittel empfehlen Sie nicht der Demokratischen Partei, oder?

Es geht darum, Menschen zu erreichen, die die Pläne von Donald Trump nicht im Detail kennen. Er spricht ganz offen über Massenabschiebungen. Gleich am ersten Tag will er anfangen, Latinos zusammenzutreiben. Ich gehe davon aus, dass jeder dunkelhäutige Mensch mit einem spanisch klingenden Namen verdächtig sein wird und erst einmal nachweisen muss, dass er ins Land gehört. Darüber hinaus wird auch über die Abschiebung eingebürgerter Menschen gesprochen, die nach Trumps Meinung nicht amerikanisch genug sind, das wird insbesondere die muslimische Community betreffen.

Im Februar haben Trump und Biden an der mexikanischen Grenze öffentliche Reden gehalten. Trump hat genau das getan, was Sie beschreiben: Er hat die Demokraten verunglimpft, die angeblich Horden von Kriminellen und Vergewaltigern ins Land lassen. Biden sprach von seinem überparteilichen Plan, der nicht funktioniert hat, weil die Republikaner das Problem nicht wirklich lösen wollen. Er versucht immer zu zeigen, dass er über die Parteigrenzen hinaus schaut und mit dem politischen Gegner kooperieren will. Soll er stattdessen die gleichen Methoden wie Trump anwenden?

Was Biden da macht, ist sein Job als Präsident. Aber niemand sieht diesen Auftritt. Die meisten Amerikaner haben keine Ahnung, dass es einen neuen Sprecher des Repräsentantenhauses namens Mike Johnson gibt, sie verstehen nicht, warum die Abtreibung gekippt wurde und wer die Schuld daran hat. Und deshalb muss die Strategie darauf zielen, sehr grundlegende Informationen zu vermitteln. Vor 30, 40 Jahren konnte man noch davon ausgehen, dass jeder und jede die irgendwie mitbekam. Es gab eine begrenzte Zahl von Informationskanälen. Wenn man in ein Restaurant kam, saßen die Leute dort mit aufgeschlagenen Zeitungen, und man konnte die Schlagzeilen lesen. Heute schauen alle auf ihre Handys. Wenn die Menschen in Deutschland und Frankreich und anderen Ländern nach Amerika schauen und sich fragen: Wie können die Amerikaner eine offenkundig faschistische, extremistische Plattform unterstützen?, dann antwortet Dr. Bitecofer: Sie tun es, weil sie es nicht besser wissen.

Ist die Polarisierung in den USA hauptsächlich eine Polarisierung der Parteien und nicht der Wählerschaft? Und ist die Strategie, die Sie vorschlagen, geeignet, diese Polarisierung zu vertiefen?

In Amerika gibt es einige politische Forderungen, die sehr populär sind: das Verbot von halbautomatischen Waffen, allgemeine Background-Checks beim Waffenkauf, Maßnahmen gegen den Klimawandel, die Kontrolle von Frauen über ihren eigenen Körper. Dafür sind teilweise 90 Prozent der WählerInnen. Aber wir stellen immer wieder fest, dass sie diese Themen nicht mit den Demokraten in Verbindung bringen. Wenn ich in eine Bar gehe und frage: „Welche Partei will euch eure Waffen wegnehmen?“, dann drehen sich alle um und sagen mit einer Stimme: die Demokraten. Aber was, wenn ich frage: Welche Partei will sicherstellen, dass deine Kinder nicht in der Schule sterben, welche Partei will dir die Kontrolle über deinen eigenen Körper geben? Welche Partei will ernsthaft Gesetze zum Klimawandel durchsetzen oder den Mindestlohn anheben? 20 bis 30 Prozent der Menschen, die das unterstützen, stimmen für die Republikaner, die absolut dagegen sind. Ein Teil meiner Arbeit besteht also darin, den Demokraten klarzumachen: Wir haben bestimmte Positionen sehr populär gemacht. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Menschen verstehen, wer diese Politik unterstützt und wer sie ablehnt.

Sind Sie eine Zynikerin? Halten Sie die Wählerschaft für so dumm, dass man nicht mit ihr argumentieren kann, sondern nur die plumpen Methoden anwenden kann, die Sie befürworten?

Ich bin überhaupt nicht zynisch. Meine Meinung basiert auf jahrzehntelangen Datenerhebungen, die bis in die 1950er Jahre zurückreichen, als die Umfragen erfunden wurden. Was dabei herauskommt: Die Leute wissen über Politik nicht viel mehr als den Namen des Präsidenten und dass es drei politische Gewalten gibt. Sie wissen nicht, wie das System funktioniert. Es ist also keine zynische Sichtweise, sondern eine realistische. Die Wählerschaft ist nicht dumm. Manche sind so klug, dass sie ein Raumfahrtunternehmen gründen und eine Rakete bauen, die rückwärts auf der Startrampe landen kann. Aber das bedeutet nicht, dass sie zivilgesellschaftliches Wissen haben. Durchschnittliche Amerikaner sind staatsbürgerliche Analphabeten.

Das Motto der ehemaligen First Lady der USA, Michelle Obama, war: „When they go low, we go high.“ Zu deutsch etwa: Wenn die anderen an niedere Instinkte appellieren, behalten wir unseren Anstand. Sagen Sie nun: „When they go low, we go even lower?“

Nein, ich sage: When they go low, we’ve got to hit them where it hurts – wir müssen sie dort treffen, wo es weh tut.

Die anderen müssen Dinge erfinden: dass die Demokraten die Wahlen gestohlen hätten, dass sie einen Impfstoff entwickelt hätten, um die Menschen zu kontrollieren, und so weiter. Sie denken sich die verrücktesten Sachen aus und versuchen die Leute damit zu überzeugen. Wir müssen einfach nur die Wahrheit sagen. Nämlich dass es im Fall eines Wahlsiegs von Donald Trump keinen Ort geben kann, an dem man sich der republikanischen Diktatur entziehen kann. Sie wird dein Leben beeinträchtigen, egal wo du bist. Für die amerikanische Demokratie geht es jetzt um Leben und Tod.

Das Buch:

Rachel Bitecofer mit Aaron Murphy: Hit ‚Em Where It Hurts – How To Save Democracy By Beating Republicans At Their Own Game. Penguin Random House 2024, 30 US-Dollar