Mathematik
Der einsame Gewinner
Die Zeit, 30.8.12
Eine neue Strategie für das „Gefangenendilemma“ taugt nur in der Theorie. In der Natur versagt das angebliche Patentrezept.
Zwei Ganoven, eines Bankraubs verdächtigt, sitzen in Untersuchungshaft. Noch kann man ihnen nur ein geringes Vergehen nachweisen, eine Urkundenfälschung. Die Strafverfolger bieten einen Deal an: Wer seinen Kumpel verpfeift, bekommt freies Geleit, der andere geht für sechs Monate ins Gefängnis. Sagt jeder gegen den anderen aus, bekommen beide drei Monate Knast. Verweigern beide die Aussage, bekommen sie je einen Monat wegen Urkundenfälschung.
Interessanter wird das Problem, wenn man das Spiel immer wieder spielt. Lernen die beiden zu kooperieren, oder versucht jeder, den anderen übers Ohr zu hauen? Was für eine Strategie muss ich wählen, wenn ich den Charakter meines Gegenübers nicht einschätzen kann? Die Frage ist nicht nur theoretisch – sie findet Anwendung im Geschäftsleben, bei Abrüstungsverhandlungen, und sie lässt sich in der Tierwelt beobachten. Als beste Strategie galt bisher tit for tat („wie du mir, so ich dir“): Jeder verhält sich so, wie es sein Gegner im vorherigen Zug getan hat. Verrät der andere mich ständig, verrate ich ihn auch. Nimmt er aber ein Kooperationsangebot an, können wir in weiteren Zügen zum gegenseitigen Nutzen zusammenarbeiten.
Umso größer war das Aufsehen, als im Mai dieses Jahres ein Artikel des amerikanischen Physikers Freeman Dyson und seines Kollegen William Press in der Zeitschrift PNAS erschien …
Wie die Wilden
Die Zeit
Die Pariser Fondation Cartier widmet sich in einer Kunstausstellung der Gedankenwelt der Mathematiker.
Mathematik und Kunst – das hat man doch schon gesehen! Man denke an die Bilder von verschnörkelten Fraktalmustern , die in den achtziger Jahren Furore machten. An die geometrischen Mosaiken in der Alhambra von Granada , in denen alle 17 möglichen regelmäßigen Kachelungen der Ebene vorkommen. Mathematische Formeln können Bilder erzeugen, die wir als schön empfinden . Man kann diese auch ins Museum hängen, aber sie sagen nur wenig aus über die Mathematik, die dahintersteckt, und über jene, die sie erzeugt haben.
Und ewig meckert die Ziege
Die Zeit
Eine neue Lösung für ein Problem, das seit 20 Jahren die ZEIT-Leser erregt.
Ach, das Ziegenproblem! Es beschäftigt die Leser dieser Zeitung seit zwei Jahrzehnten. In der Ausgabe 30/91 erschien der erste Artikel zu dieser scheinbar so einfachen Denksportaufgabe und löste eine Flut von Zuschriften aus , auch von Mathematikprofessoren. Bis heute erhitzt das mathematische Problem die Gemüter.
Viele sagen intuitiv: Es ist egal, ob man seine Meinung wechselt – es bleiben zwei Türen, hinter einer steht das Auto, die Gewinnwahrscheinlichkeit beträgt jeweils 50 Prozent.
Aber das stimmt nicht, denn die ursprüngliche Wahrscheinlichkeit für Tür 1 war ein Drittel, auf Tür 2 und 3 entfielen zwei Drittel. Da Tür 3 nach der Aktion des Moderators definitiv ausfällt, steht das Auto mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln hinter Tür 2. Also sollte man wechseln!
Der Meister der unerhörten Formen
Die Zeit
Ihn kannten wenige, sein Apfelmännchen machte Karriere: Benoît Mandelbrot schenkte der Mathematik eine neue Ästhetik – seine Spuren bleiben unauslöschlich.
„Bodenlose Wunder entspringen aus einfachen Regeln, die ohne Ende wiederholt werden.“ Das waren die letzten Worte, die Benoît Mandelbrot bei seinem letzten öffentlichen Vortrag sprach. Das war im Februar 2010 auf einer Konferenz in Kalifornien.
„Entschuldigen Sie, dass ich im Sitzen rede – ich bin sehr alt“, hatte er am Anfang seines Vortrags gescherzt.
Sein Körper war wohl schon vom Bauchspeicheldrüsenkrebs geschwächt, am vergangenen Donnerstag ist der 85-Jährige daran gestorben …
Das Angstfach
Die Zeit
Ein nationales Mathe-Institut gegen den Föderalismus-Hickhack
Über mangelnden Respekt kann sich die Mathematik eigentlich nicht beklagen. Sie gilt als wichtig, wenngleich schwierig. Und dass TV-Prominente dumm, eitel und stolz mit ihren schlechten Mathenoten kokettieren, kommt zum Glück auch immer seltener vor. Just die Mathematikleistungen in der Schule sind – so wissen Bildungsforscher – der beste Indikator für späteren Erfolg im Beruf.
„Eine andere Welt“
Die Zeit
Mathematiker streiten über Probleme, die jeden Computer überfordern.
DIE ZEIT: Hier in der indischen Stadt Hyderabad treffen die Mathematiker gerade zu ihrem Weltkongress zusammen. Im Vorfeld machte ein Beweis Furore , der zeigen sollte, dass P ungleich NP ist. Was bedeutet das, „P≠NP“?
ZEIT: …so wie das Problem des Handlungsreisenden, der auf kürzester Gesamtstrecke eine Anzahl von Städten besuchen soll. Es gibt bis heute keinen Rechenweg dafür…
Dinur: Genau. Aber wenn uns jemand eine Route gibt, können wir immerhin effizient überprüfen, ob diese korrekt ist.
Dinur: Die messen wir an der Rechenzeit. Es gibt ein paar harmlos aussehende Probleme, für deren Lösung man mehr Schritte braucht, als das Universum Atome hat. Ein Computer würde bis ans Ende der Zeit daran rechnen.
Dinur: Dann machen wir die Aufgabe eben komplexer, und der Fortschritt ist wieder aufgezehrt. Das ist ein prinzipielles Problem …
Rechnen mit Boxhandschuhen
Zeit Online
Der Informatiker Daniel Spielman erhält den Rolf-Nevanlinna-Preis, weil er einen Algorithmus so glättete, dass er universal einsetzbar ist. Christoph Drösser hat den Preisträger auf der Mathematikerkonferenz in Hyderabad getroffen.
Am schlimmsten war es für Dan Spielman , seinem engsten Kollegen Shang-Hua Teng nichts erzählen zu dürfen. Die Träger der Preise , die auf der Internationalen Mathematiker-Konferenz (ICM) verliehen werden, bekommen den beglückenden Anruf einige Monate im Voraus, damit sie auch rechtzeitig ihre Reise organisieren können.
Der Mathematiker mit der Spinnenbrosche
Zeit Online
Mit 35 wurde er Direktor des Pariser Poincaré-Instituts. Jetzt gewann Cédric Villani die Fields-Medaille. Christoph Drösser hat den Mathematiker in Hyderabad getroffen.
Was für ein Jahr! Im Juli 2009 wurde Cédric Villani im Alter von 35 Jahren Direktor des Institut Henri Poincaré in Paris, benannt nach dem überragenden französischen Mathematiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Im Juni wurde dort der endgültige Beweis der berühmten Vermutung von Poincaré durch Grigorij Perelman gefeiert.
Medaillen für die besten Tüftler
Zeit Online
Sie erforschen, wie Billardkugeln rollen oder Galaxien entstehen und lösen knifflige Rätsel. Jetzt wurden die besten Mathematiker ausgezeichnet.
In diesem Jahr trifft sich die internationale Mathe-Elite in Zentralindien. Hier, im Kongresszentrum von Hyderabad, hat die indische Präsidentin Pratibha Patil am Donnerstagmorgen die Fields-Medaillen verliehen, die als „Nobelpreise der Mathematik“ gelten. Zugleich wurden drei weitere Preise an herausragende Mathematiker vergeben. Mit dem Festakt begann der Internationale Mathematikerkongress (ICM) , der noch bis zum 27. August stattfindet.
Die Internationale Mathematische Union (IMU) entschied sich in diesem Jahr, die maximale Zahl von vier Fields-Medaillen voll auszuschöpfen …
Ist ein Jahrtausendproblem der Mathematik gelöst?
Zeit Online
Klar ist nur: Ein Spinner ist er nicht. Vinay Deolalikar glaubt eines der Millenniumsprobleme der Mathematik gelöst zu haben. Experten weltweit prüfen nun seinen Beweis.
Mathematiker sind Gefühlsmenschen. Auch zu Fragen, die noch nicht wirklich entschieden sind, haben die meisten eine Meinung, so ganz aus dem Bauch heraus. Im Jahr 2002 äußerten in einer Umfrage 61 von 100 Mathematikern die feste Überzeugung, dass P und NP verschieden sind. Aber Meinungen zählen in der Mathematik nicht – sie ist eine äußerst undemokratische Wissenschaft. Wenn ein einzelner mit strenger Logik daherkommt und eine Aussage hieb- und stichfest beweist oder widerlegt, dann ist es vorbei mit dem Bauchgefühl.
Nun jedoch könnte das Bauchgefühl der Mehrheit von dem indischstämmigen Mathematiker Vinay Deolalikar bestätigt werden. Und Deolalikar noch dazu reich machen: Die amerikanische Clay Foundation zählt nämlich P=NP zu den „Millenniumsproblemen“ der Mathematik, deren Lösung jeweils mit einer Million Dollar dotiert ist …